DKW-Motorraddienst

Diese Seite bookmarken

Motorrad-Test: Die großen DKWs: RT 175 bis RT 250/2

Der Seitenwagen selber


In Deutschland ist es Tradition, eine 250er mit dem kleinsten überhaupt nur erhältlichen Seitenwagen auszurüsten, als der wohl der Steib LS 200 zu betrachten ist. Mir fällt dabei immer ein österreichischer LKW-Fahrer ein, der zwischen Wien und Linz unser Gespann längere Zeit zu halten versuchte, uns aber erst an einer Baustellensperre erwischte. Er meinte: „Gefahren seid Ihr ja prima, mein Wagen gibt nicht mehr als 80 her, ich habe Euch deswegen nicht halten können. Aber seids mir net bös, Eure Maschinen san jo schön, aber Eure Seitenwagen san a Glump!" Der Mann hatte von seinem Standpunkt aus nicht Unrecht, denn in Österreich ist man diese spartanischen Seitenwagen nicht gewöhnt — dabei hatten wir schon den S 350 dran! Ich mußte ihm auch sonst noch Recht geben, denn bei uns werden sämtliche Geschäftsreisen mit dem Gespann gemacht und es hat sich herausgestellt, daß mehr als 50 km Distanz bei Schnellreise auch für die gutmütigste Sozia im üblichen 250er Seitenwagen eine glatte Zumutung sind. Wir fahren deshalb seit geraumer Zeit jede Testmaschine mit unserem eigenen 350er Seitenwagen und ich kann eigentlich nur noch hinzusetzen, daß die beiden Kennlinien der RT 250 (Viergang) in Bild 14 eben mit diesem großen Seitenwagen ermittelt worden sind! Es ist also gegenstandslos, hier noch weitere Worte über Eignung oder Nichteignung zu verlieren, ich kann nur sagen, daß sich fahrtechnisch und lenkungsmäßig überhaupt kein Unterschied bemerkbar machte, leistungsmäßig ist ein Unterschied laut Diagramm und Erfahrung überhaupt nicht vorhanden. Wir haben dies bereits einmal mit einer anderen Maschine exerziert und heute bleibt an Testgespannen der werksübliche LS 200 Seitenwagen höchstens noch einen Nachmittag dran und wird dann gegen unseren eigenen S 350 ausgewechselt. Ich kann dieses Verfahren jedem, der mit seiner Sozia nicht spinnefeind ist, nur empfehlen. Der Vollständigkeit halber muß ich es wiederholen, auch wenn ich noch so viele Leser damit langweile: Es gibt zwar noch eine ganze Anzahl von Seitenwagen mit Starrachse, ich rate aber ganz dringend davon ab! Es dürfte einfach keinen Seiten¬wagen ohne gefedertes Rad mehr geben!

Dasselbe gilt für die Bremsung des Seitenrades, wer sich also den Seitenwagen neu anschafft, kann gar nichts besseres tun, als den zusätzlichen Hundertmarkschein zu opfern und die Hydraulik gleich mit dazu zu bestellen. Natürlich kann man auch einen vorhandenen Seitenwagen mit noch nicht gebremstem Rad auf Hydraulik umbauen, nur kommt das dann auf annähernd zwei Hundertmarkscheine, weil man auch noch eine neue Nabe und sonst noch so einiges dazu braucht.

Bild 12: So sieht der Mechanismus beim hydraulisch gebremsten Seitenrad aus. Gibt es nur bei Steib; der Hauptbremszylinder hängt im Gestänge der Hinterbremse, das einfach gegen das vorhandene Gestänge ausgewechselt wird.
Bild 15: Das Kabrio-"Dachl", das es zu jedem Steib gibt, bei weitem kein Luxus und im Gebrauch sehr ernsthaft.
Bild 16: Größenvergleich vom 73er und 65er Lenker.

Wir haben jetzt fast zwei Jahre Erfahrung mit hydraulisch gebremsten Seitenrädern und müssen sagen, daß diese Erfahrungen durchweg positiv sind — niemand von uns fährt mehr ohne gebremstes Seitenrad. Selbst die bei uns häufige Auf- und Abbauerei wird klaglos überstanden, das Entlüften einer Hydraulik ist bei uns nur noch eine Arbeit von ganzen drei Minuten. Wer über hydraulische Bremsung mehr wissen will, findet dies in MOTORRAD Nr. 23 und 24/53, ferner gibt es eine ausgezeichnete Sonderdruckschrift darüber in Gestalt des Büchleins „Hydraulische Motorradbremsen" bei Alfred Teves, Maschinen- und Armaturenfabrik GmbH., Frankfurt am Main.

Noch ein praktischer Hinweis: Man kann bei der Steib-Ate-Bremse die auf das Seitenrad kommende Bremskraft mit einer Stellschraube dosieren. Wir stellen nach ausgedehnter Erfahrung so ein, daß das Gespann bei ausgesprochen harter Notbremsung ganz leicht nach der Wagenseite abbiegen will. Bei mäßiger bis scharfer Bremsung geht es dann tadellos geradeaus, gleichgültig, ob der SW leer oder besetzt ist. Die früher so oft betonte Notwendigkeit, zum Kurvenfahren das Seitenrad für sich allein bremsen zu können, hat sich als objektiv unwichtig herausgestellt. Man kommt kaum einmal in die Lage, den an sich möglichen leichten Steuereffekt ausnützen zu können, die Sache ist jedenfalls mit ein bißchen Armschmalz und griffigem Vorderprofil genau so darzustellen. Uns erscheint die unbedingt gleichzeitige Wirkung bei Schreckbremsung, also blindem Zutreten, viel wichtiger.

Ein Allerletztes für Seitenwagenbetrieb: Unsere Sozia haben durchgesetzt, daß nicht mehr ohne „Dachl“ gefahren wird. Natürlich kostet auch das ein paar Piepen, die machen sich aber bei der ersten Regenfahrt wieder bezahlt, denn die Sozia leidet ja nicht so sehr unter richtiger Regennasse als vielmehr unter der Dreckwolke, die vom Windwirbel von hinten her in den Seitenwagen geweht wird. Man hat an Reinigungskosten dadurch leicht einmal mehr auszugehen als ein Dachl gekostet hätte, ganz zu schweigen von der diesbezüglichen Stimmung der Sozia.

Wenn man beim Werk eine Maschine sofort als Gespann bestellt, bekommt man automatisch den 73 cm breiten Lenker, Eine so große Lenkerbreite gilt heute für Gespanne überall noch als Norm, ich bin allerdings der Meinung, daß diese Lenkerbreite für Gespannnetrieb nur noch in schwerem Gelände bei ausgesprochener Langstreckenfahrt gerechtfertigt ist - dazu gehört dann aber schon eine Alpenfahrt mit Etappen von 600 km pro Tag. Für Straßenbetrieb braucht man diese Lenkerbreite nicht, man kommt mit dem normalen, 65 cm breiten Lenker anstandslos aus, ich bin sogar der Meinung, daß man damit bei Schmiere und auf Glatteis viel besser durchfühlt, wieviel man dem Vorderrad an Bremsung oder Bodenhaftung in der Kurve noch zumuten darf. Die Feststellung, daß der 65 cm breite Lenker auch bei Gespannbetrieb völlig ausreichend sei, gilt unter der Voraussetzung, daß man auf Bundesstraße buckligster und kurvigster Art täglich Etappen von 5—600 km anstandslos durchsteht, ohne sich etwa in den Schultern über Gebühr angestrengt zu fühlen. Es müssen schon ausgesprochen sehr leichte Fahrer sein, die bei Straßenbetrieb einen 73er Lenker benötigen.

aus: Der Motortest - Die großen DKWs: RT 175 bis RT 250/2, 1. Auflage 1954



Lesen Sie auf der nächsten Seite: Die Bremsen

TOC Vorherige Seite Parent page Nächste Seite

Werbung