DKW-Motorraddienst

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Erste Fahreindrücke


Ich habe die Testmaschine sehr genau unter die Lupe genommen, so genau, als habe sie mein eigenes Geld gekostet. Gefahren habe ich sie aber — nun, eben wie eine Testmaschine, die nicht das eigene Geld gekostet hat und bei der man auf Versager lauert, vor denen der Käufer schaudert.

Bild 2: Die Stachelschweinzylinder sind wieder zu Ehren gekommen. Und nicht umsonst. Wir haben bei Twins eben immer mit schwierigen thermischen Verhältnissen zu kämpfen. Diese Lösung hier ist jedenfalls hervorstechend. Beide Zylinder sind getrennt.
Natürlich ist nicht alles heil geblieben, wie sollte das auch bei runden 6000 km Schinderei einschl. einer Dreitagefahrt möglich sein! Es kommt aber sehr darauf an. was bei solchem Betrieb versagt: Es gibt da Dinge, die wirklich nur alle heiligen Zeiten einmal vorkommen, und es gibt solche, die bei jeder Maschine laufend vorkommen. So wird man einen defekten und danach verbrannten Regler zu den Dingen rechnen, die nur alle heiligen Zeiten vorkommen — weil ich ihn unterwegs auswechseln mußte, kann ich bis heute nicht sagen, was ihm tatsächlich gefehlt hat. Eine verlorene Scheinwerfer-Halteschraube gehört zu den laufend vorkommenden Pannen — wer hat bei seiner Maschine noch keine Schraube verloren? Der Tankriß sah schon bedenklicher aus, aber auch er war nicht grundsätzlicher Natur: Die rechte vordere Tankbefestigungsschraube war nicht gesichert, ich merkte wegen der Gummilagerung die Wackelei nicht, weil der Tank ja im Gummi immer wackelt, bis eben der Steuerkopf ein Loch im Tank verursacht hatte. Wenn man es weiß, ist es einfach, Zahnscheibe, aus. Soll man das der Maschine ankreiden? Ich habe es mir angekreidet. Die erste Arbeit war das Entfernen des Gasgriffes mit dem langen Drehweg — man sollte diese Dinger verbannen —! Dafür montierte ich den neuen Magura-Rundzug-Griff mit angegossenem Bremshebel und Fensterl zum Nachsehen, ob der Nippel auch sauber einhakt. Feine Sache! Und wie das so ist — jetzt merkte ich eigentlich erst die erste Eigenschaft der Maschine: Sie ist wesentlich schneller, als man es wahrnimmt. Das ist sonst nur eine Eigenschaft moderner, guter Wagen — man spürt die tatsächlich gefahrene Geschwindigkeit nicht mehr, man kann sie nur noch am Tacho feststellen. Daß es das auch bei Motorrädern gibt, lernte ich an der RT kennen — andeutungsweise kannten wir es schon von der Schwarzen Josephine her, aber bei der brauchte man nur den Kopf ein wenig zu verdrehen, um sofort den Motor zu hören und das Gefühl für die gefahrene Geschwindigkeit wieder zu haben. Die Laufruhe des RT-Motors ist entschieden noch besser und ich stelle dies fest, ausdrücklich, angesichts einer Enttäuschung über gewisse Twins, die bei uns in den letzten Monaten Platz griff: Wir haben da, angestiftet durch Josephine, ein bißchen auf die Pauke gehauen und des öfteren behauptet, ein Single sei gegenüber einer Twin heute doch recht rückständig, denn die Twin laufe doch im Vergleich dazu sooooo rund — bis wir auf Twins zu sitzen kamen (der verschiedensten Herkünfte übrigens!), die zwar nicht mehr grob mit Knüppeln trommelten, wie das ein anständiger Single tut, die aber dafür in doppelter und vierfacher Frequenz der Drehzahl eine extrem bösartige Schwingung liefern, mit der man so ungefähr alles kaputtkriegt, von der Haut in den Handflächen über einfache Kotflügelrisse bis zu kompletten Rahmenbrüchen. Von der RT 350 weiß ich jetzt, daß man auch Twins bauen kann, die diese Twin-Schüttelei nicht zeigen.

(Dafür gibt es eine Erklärung, die mit der theoretisch richtigen Auswuchtung auf dem Prüfstand nichts zu tun hat: In einem Fahrwerk alter Bauart, mit knochenharter Telegabel und noch steiferer Hirafe, mußte ein schüttelnder Motor die komplette Maschine in den Reifen schütteln und hatte keinen Platz, um sich auszutoben. Bei heutigen leicht ansprechenden Federungen ist bloß noch das bißchen Rahmenmittelteil da, das sich in den Federungen wiegt und in dem der Motor ganz anders toben kann. Daher rühren zuweilen sogar L e i s t u n g s unterschiede gleicher Motoren in verschiedenen Fahrwerken!)

Wir behaupten ja immer, daß ein modernes Fahrwerk den Fahrer bzw. dessen Aufmerksamkeit so weit entlaste, daß er jetzt plötzlich Zeit hat, auf seinen Motor zu achten und dessen Schüttelei wahrzunehmen. Einige ängstliche Leser konnten wir schon überzeugen, daß ihre jeweiligen Motoren keineswegs aus der Reihe tanzten, daß da vielmehr nur der subjektive Eindruck vorhanden war. Aber auch wenn wir das abrechnen, müssen wir der RT 350 immer noch bestätigen, daß sie unter allen derzeitigen Twins ganz besonders rund geht.

Der Motor ist zudem auch noch akustisch leise, er heult bei weitem nicht so wie 250er-Twins, er hat ganz natürlich nicht den mechanischen Lärm einer Viertakt-Twin, und so kann es kommen, daß man auf einer belebten Großstadtstraße — von z'wegn der Ablenkung — mit 80—90 km/h dahinfegt, sie für gute 50 hält und dementsprechend in die Bremsen steigen muß. Daran sind natürlich auch die 350 ccm erheblich mit schuld: Man kann zwar auch mit einer 250er so fahren, aber um da auf 80 zu kommen, bedarf es der Umstände und der Schalterei bei hoher Drehzahl — da weiß man, daß man auf 80 ist. Die RT zieht das aber im Dritten oder gar im Vierten nur mit dem Gasgriff, und so kommt es, daß man die 80 für 50 hält Was der Motor drin hat, merkt man beim Bremsen, tatsächlich. Erst in zweiter Linie am Ziehen in den Armen beim Gasgeben.

aus: Das Motorrad, 7. Jahrgang Nummer 16 vom 13. August 1955



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